Ich denke die meisten meiner Leser werden dies bereits erlebt haben, die Angst nach den Abiturprüfungen. In drei Tagen ist es soweit, ich erhalte meine Noten.
Ich habe Angst.
Momentan habe ich das Gefühl, dass mein Leben an allen Ecken und Enden bröckelt. Ich habe keinen Freund, wurde von dem letzten Mann, den ich als potentiellen Partner festgehalten habe weggestoßen. In einem Jahr spätestens muss ich ausgezogen sein. Ich habe einen Job (darüber erfahrt ihr nach dem Abi mehr) der mit dem Abi steht oder fällt. Meine beste Freundin zieht nach ihrem bestandenen Abitur weg. Ich habe Angst die Vorurteile, mit denen ich in meiner Jugend konfrontiert wurde zu bedienen. Ich habe Angst, so dumm zu sein, wie es die Statistik mir vorgibt zu sein.
Denn was bin ich? Das Kind eines Bürokaufmannes und einer Hausfrau ohne Abschluss und ohne Ausbildung. Was erwarte ich mir? Abitur? Studium? Ich? Sohn einer Familie die es mit Glück in die obere Mitte der Mittelschicht geschafft hat? Mit dem bisschen Bauernschläue das in meinen Genen vorherrscht?
Es sind Gedanken die ich eigentlich schon längst widerlegt habe, Gedanken, die ich schon letztes Jahr das Lügen gelehrt habe, als ich meine Fachhochschulreife erworben habe – und das mit Nebenjob und Faulheit. Doch ich habe Angst. Ich habe Angst all das zu bestätigen was man mir irgendwie immer vorhält – und eigentlich doch nicht. Zwar waren meine Lehrer in der Realschule immer der Meinung, dass ich jetzt nicht unbedingt der Überflieger wäre, doch keiner davon hat meinen Intellekt hinterfragt, ja teils sogar gefördert und mir gezeigt, dass ich es weiter schaffen könnte, wenn ich gefragt hatte. Ich hatte mit Referendaren über mein Ziel geredet, eines Tages selbst Englischlehrer zu werden und Schülern die Schönheit dieser Sprache zu zeigen.
Aber ich habe Angst. Wenn ich mein Abitur nicht bestanden habe, was wäre ich für ein Lehrer? Wenn ich mein Abitur nicht bestanden habe, bin ich dann nicht so dumm wie man mir im Lebensweg gezeigt hatte? Sollte ich dann nicht lieber eine Ausbildung machen? Bisher ist mir im Leben immer alles zugeflogen. Die mittlere Reife, die Fachhoschulreife, mein Barschulabschluss, mein neuer Job, all das, dass ist nichts wofür ich das Gefühl hatte wirklich gearbeitet zu haben. Und das Abi, das bin ich irgendwie genauso faul angegangen. Aber ich habe dieses Mal das Gefühl so sehr versagt zu haben. So eine Angst, diesen Abschnitt meines Lebens, der sich so anfühlt als würde er alles entscheiden, nicht geschafft zu haben.
Was würde der 10-jährige Praktikon nur von mir halten, wenn er wüsste was aus mir geworden ist. Damals war ich mir so sicher, dass ich es irgendwann meiner Lehrerin zeigen würde, dass ich mein Abitur trotzdem mache. Was würde der 14-jährige Praktikon über mich denken, der Praktikon, der gerade kurz davor ist als Zweitbester die 8. Klasse abzuschließen? Was würde der 15-jährige Praktikon denken, gerade irgendwie verängstigt, mit geschwänztem Quali und der Angst nicht in die 10. Klasse zu kommen?
Was würde der letzjährige Praktikon von mir halten, der mit so einer Selbsticherheit in die Prüfungen gegangen ist, weil er mit seinem Schnitt von 1,9 sich jede Note erlauben konnte außer 0 (weil ich dann auf Grund der Prüfungsordnung durchgefallen wäre)? Warum konnte ich nicht fokussiert lernen? Warum habe ich mich nicht auf mich besinnt? Warum habe ich mich dem Selbstmitleid wegen eines Mannes hingegeben, der es nicht Mal wert ist, dass ich mir wegen ihm meine Zukunft verbaue?
Ich habe Angst. Ich fühle sie immer weiter in mir hochsteigen. Die Frage danach, was ist wenn ich nicht bestanden habe, bestimmt immer mehr meine Gedanken.
Ich habe Angst, und dieses Mal ist an dieser Angst niemand anders mehr als mir selbst schuld. Ich habe Angst, was ist wenn ich nicht bestanden habe.